Das Leid der Kultur
 
Die CSU will Menschen per Gesetz zur Leitkultur verpflichten. Alle paar Jahre wird dieser Schwulst ausgegraben, der sich, man verzeihe, wie ein Überbleibsel nationalistischer Sprachkultur ausnimmt. Schon vor ein paar Jahren habe ich in Verweis auf jene Leitkultur in einem Leserbrief gefragt, wer denn die Kultur leitet und dazu unseren Leitgoethe zitiert: „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“

Gesetze achten: ja! Menschen achten: ja! Traditionen? Damit ist es so eine Sache. Viele sind ja schon uns Deutschen verloren gegangen. Für Kultur interessiert sich nach wie vor kaum jemand. Denn immer noch beherrschen Bohlen, Dschungelcamp oder unsägliche Schlagerplattheiten das Fernsehen und das meiste an gelesener Literatur ist reines Blabla. Ist wohl doch eher eine Leidkultur. Vielleicht sollte man erst einmal die Deutschen zur Kultur verpflichten, die sie immer so gern vor sich her tragen und zu der sie andere nötigen wollen. Doch man kann eben niemand zur Kultur verpflichten. Ja noch nicht einmal zu Werten oder Gesetzen. Man kann diese den Menschen vermitteln und sie auffordern sie einzuhalten, sie zu respektieren. Alles andere ist blauäugiger Populismus.
Die CSU kann die in Bayern lebenden Flüchtlinge gern zu einem Besuch des Oktoberfestes oder zu einem Brezelabend verpflichten. Ach so, Köln, Silvesterabend: Jeder, ich betone, jeder hat die Würde des anderen und auch der Frauen zu achten. Daran sollten auch Deutsche denken, wenn sie sich zum Fleischbeschau in asiatische Länder oder wohin auch immer aufmachen.
In diesem Zusammenhang fällt mir allerdings auf, dass sich vor allem junge Frauen im Fernsehen zunehmend in Modelshows als Objekt darstellen oder in einschlägigen Internetforen auf erschreckend eindeutige Weise anbieten. Aber das gehört wohl zu unserer Leitkultur. Doch Vorsicht!
Fremde und auch Deutsche könnten sich verpflichtet fühlen.
 
(Als Leserbrief im Darmstädter Echo veröffentlicht am 29. 01.16)

Leder in der Kälte


Laut Jens Spahn (CDU) sorgen die Teilnehmer der Pegida sich um ihre Zukunft, sorgen sich um Lebenshaltungskosten, niedrige Renten und hohe Krankenkassenbeiträge? Sie fühlen sich von unseren Politikern mit diesen Sorgen im Stich gelassen. Verständlich, aber was hat das mit einer angeblichen Islamisierung, mit Asylanten oder gar mit Migranten zu tun? Letztgenannte, so neueste Untersuchungen, brauchen wir schon aus dem Grund, damit unser Rentenniveau, eben auch das der Pegidas gehalten werden kann.

Und Vergleiche Spahns mit der Occupy-Bewegung hinken meiner Meinung nach. Occupyaktivisten ›besetzen‹ eben Plätze vor Banken und bringen so Protest und Kritik direkt an dafür zuständiger Stelle vor. Apropos. Im Weiterstädter Einkaufszentrum Loop eröffnet die Modekette Primark im September 2015 eine Filiale. Primark lässt Kleider auf Kosten der Ärmsten billig für unserer aller Chic produzieren. Falls diese Menschen einmal nach Deutschland kommen sollten, sei es, weil sie Arbeit suchen oder um Asyl bitten, dann sei den Pegidas schon heute gesagt: diese Menschen holen sich nur ein wenig von dem zurück, was ihnen zusteht, wo wir doch ihre Arbeitskraft und ihre Rohstoffe (ob Gewürze, Kaffee oder Tee) ausbeuten, Dinge, die wir für unseren Wohlstand brauchen. Übrigens darf man sich nicht wundern, wenn die Ideologie der Islamisten bei diesen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen sollte. Dessen sollten sich die patriotischen Europäer bewusst sein.

Übrigens: was Patriotismus betrifft, ein Zitat von Heinrich Heine aus der „Romantischen Schule“. Dort heißt es, stark verkürzt: „(…) der Patriotismus des Deutschen hingegen besteht darin, dass sein Herz enger wird, dass es sich zusammenzieht wie Leder in der Kälte, dass es das Fremdländische hasst, dass er nicht mehr Weltbürger sein will, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Deutscher sein will.“ Erschienen 1835! Man glaubt es kaum.
 (Als Leserbrief im Darmstädter Echo im Januar 2015 veröffentlicht)